Komische Vögel in Solothurn – wo Stand-up-Paddler sitzen müssen
Motorboote sind erlaubt, die boomenden Stand-up-Paddles nicht: Auf der Aare bei Solothurn zwingt der vogelpsychologisch geschulte Amtsschimmel die Menschen in die Knie.
Haben die Solothurner eine Meise? Eher einen Zwergtaucher. Nicht nur einen, sondern viele. Die raren Vögel leben an mehreren Ecken entlang der Aare bei Solothurn. Ihre Wohnquartiere ober- und unterhalb der Stadt haben dank den putzigen Gästen, die hier zu überwintern pflegen, schon lange Eingang in das Bundesinventar der Wasser- und Zugvogelreservate gefunden. Grosse Wellen hat das in der Region bisher kaum geworfen. Bis letzten Herbst.
Dann hat der Amtsschimmel einmal laut gewiehert – und damit nicht die Vogel-, dafür aber umso mehr die Menschenwelt in Aufruhr versetzt: Seit Mitte September gilt in den fraglichen Gebieten ein Fahrverbot für Stand-up-Paddles. Die Population dieser Paddler, die aufrecht stehend auf Brettern über das Wasser gleiten, hat sich im Gegensatz zu den Zwergtauchern massiv vergrössert, auch in Solothurn. Umso lauter war der Aufschrei, zumal das Verbot eine auch touristisch und kommerziell interessante Strecke betrifft. Widerstand formierte sich.
Die Falken nisten in Bern
Und siehe da, nun haben die amtlichen Vogelversteher einen Kompromiss ausgebrütet – eine wahrhaft kauzige Idee, mit der sie, wenn man das in diesem Zusammenhang sagen darf, den Vogel abschiessen. Sie wollen den Beschluss zwar erst am Donnerstag kundtun, doch schon tags zuvor wurden die Neuigkeiten gut hörbar von den Solothurner Dächern gezwitschert: Die Paddler dürfen den fraglichen Aareabschnitt inskünftig wieder befahren – aber nur sitzend.
Auf einem Stand-up-Paddle sitzen – darauf muss man zuerst einmal kommen. Das wäre dann wohl das Sit-down-Paddle. Die Einladung für die Medienkonferenz vom Donnerstag ist zwar am 1. April verschickt worden, aber ein Scherz ist es trotzdem nicht. Laut wasserdichten Quellen haben die Solothurner den Plan auch schon dem Bundesamt für Umwelt vorgelegt, worauf dieses wie erhofft seinen Segen erteilt hat.
Das ist nicht unwesentlich, denn die Falken in dieser Sache, die nisten in Bundesbern. Letztes Jahr haben sie befunden, das bereits bestehende Fahrverbot für «Drachensegelbretter und ähnliche Geräte» erfasse fortan auch Stand-up-Paddles. Der mühsame Teil, die Durchsetzung des Verdikts, obliegt den Kantonen.
Komplexe, sensible Wesen
In Solothurn ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Auch vogelfreundliche Paddler fragen sich, weshalb sie in die Knie gezwungen werden, während Motorboote und dergleichen weiterhin ungehindert durch die Schutzzonen kurven dürfen. Auch die Gummiringkapitäne, die sich noch rasanter vermehrt haben, behalten das volle Durchfahrtsrecht. Wobei sie natürlich selten bis nie stehen. Aufrecht unterwegs sind hingegen die vielen Jogger und Spaziergänger, die an Land im Schutzgebiet unterwegs sind, mit und ohne Hund.
Die amtliche Argumentation offenbart ein tiefes Verständnis von Vogelpsychologie. Zwergtaucher scheinen komplexe, sensible Wesen zu sein. Gleite ein Mensch fast geräuschlos über das Wasser, wirke das auf sie so, als würde er über die Aare auf sie zugehen, erklärte der Amtschef der «Solothurner Zeitung». Das könne sie zur Flucht oder sogar zum Verlassen des Gebiets veranlassen. An die lärmigen Boote hingegen hätten sich die Vögel gewöhnt und wüssten, dass davon keine Gefahr drohe. Die Paddler müssen also fast schon froh sein, dass sie nicht verpflichtet werden, Motorenlärm zu imitieren. Sie müssen sich einfach niederlassen.
Ganz wohl scheint es damit aber auch dem Amt nicht zu sein. Die Rede ist von einer Übergangslösung. Böse Zungen behaupten, der Kanton wolle das Problem aussitzen.
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