Koalitionsstreit um den Verbrennermotor: Die FDP muss die Lobby-Politik hinter sich lassen
Die EU-Umweltminister beraten über das Verbrenner-Aus. Aber eine Verwässerung der Zielvorgaben wäre ein schlechtes klimapolitisches Signal. Ein Kommentar.
Deutschland ist eine Macht in Europa. Das zeigt sich gerade auf EU-Ebene in der Diskussion um das geplante Aus von Verbrennungsmotoren in Pkws und leichten Nutzfahrzeugen ab dem Jahr 2035. Eine Enthaltung Deutschlands in dieser wichtigen klimapolitischen Zukunftsfrage würde derart ins Gewicht fallen, dass Null-Emissionen bei Pkws möglicherweise erst 2040 greifen würden.
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Der deutschen Umweltministerin Steffi Lemke ging es bei den Beratungen der EU-Umweltminister um das große Ziel, bis 2035 bei den allermeisten Neuwagen keine Verbrennermotoren mehr zuzulassen. Eine leichte Öffnung soll allerdings dennoch eventuell möglich sein – für Verbrennerautos, die mit klimaneutralen E-Fuels betrieben werden und die auch nach 2035 neu auf die Straße kommen sollen.
Die FDP setzte sich vehement für eine solche Klausel ein. Die Liberalen sehen in dem Einsatz von synthetischen Kraftstoffen eine Möglichkeit, um die Verbrenner-Technologie in Europa auch über das Jahr 2035 hinaus am Leben zu erhalten.
Es geht um eine Profilschärfung für die FDP
Auch wenn es der Profilschärfung der FDP dient, wäre es ein schlechtes Signal, wenn die EU-Umweltminister nun möglicherweise die bestehende Brüsseler Zielvorgabe verwässern. Zwar wäre ohnehin erst einmal abzuwarten, wie eine erneute Brüsseler Prüfung der Wirksamkeit von E-Fuels ausgehen wird. Die synthetischen Kraftstoffe, die derzeit in Pilotanlagen erprobt werden, sind nach jetzigem Stand kaum geeignet, den gesamten Spritbedarf einer Autonation wie Deutschland zu decken.
Video: EU beschließt Verbot von Verbrennermotoren (glomex)

Gegen E-Fuels spricht auch, dass bei ihrer Produktion sehr viel mehr Energie verloren geht als bei der Herstellung von Elektroautos. Die Industrie hat selbst längst die Zeichen der Zeit erkannt und setzt auf den flächendeckenden Einsatz von E-Autos bis 2035.
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Dabei ist dieses Zieldatum keineswegs übermäßig ambitioniert. Das verbleibende Jahrzehnt stellt für die Automobilindustrie in Deutschland und anderen umsatzstarken Nationen wie Italien und Frankreich genügend Zeit für die weitere Umstellung auf die Elektromobilität dar.
EU sollte zum Vorreiter werden
In der FDP heißt es nun, dass sich die EU nicht vom weltweiten technologischen Fortschritt bei der Entwicklung klimaschonender Verbrennungsmotoren abkoppeln dürfte. Aber genau andersherum wird ein Schuh daraus: Die EU sollte auch bei der Förderung von E-Autos klimapolitisch zum Vorreiter werden.
Gegenwärtig springen die Grünen ja auch über den eigenen Schatten, wenn es in Zeiten des Ukraine-Krieges darum geht, angesichts der gedrosselten russischen Gaslieferungen Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen. Es ist in der gegenwärtigen Umbruchsituation also mehr denn je sinnvoll, wenn an anderer Stelle – gerade im Verkehrsbereich – vermehrt CO2 eingespart werden kann. Lobby-Politik alter Prägung sollte jedenfalls für die FDP besser der Vergangenheit angehören.
Scholz ist der Koalitionsfrieden wichtiger als ein klares Signal an die Industrie
Umso erstaunlicher ist es, dass Kanzler Olaf Scholz sich um des Koalitionsfriedens willen für die FDP in die Bresche geworfen hat. Ein allgemeines Ende für sämtliche Verbrennermotoren ab 2035 hätte auch für die Hersteller ein deutlicheres Signal gesetzt als das Zugeständnis an einzelne Industriesegmente, das sich am Dienstag in Luxemburg abzeichnete.
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