F.A.Z. exklusiv: „Libra“-Skandal : Fürstlich in Saarbrücken und am Kurfürstendamm
Dreiundzwanzig Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums, darunter zwei Abteilungsleiter, waren vor dem 20. Dezember 2022 für den Newsletter „Libra – eine Marke von Juris“ angemeldet. Trotzdem will Minister Marco Buschmann (FDP) erst an diesem Tag, und aus der F.A.Z., erfahren haben, dass „Libra“ zu Juris gehört, einem Unternehmen, bei dem sein Ministerium einen der beiden Geschäftsführer bestimmt. Das lesen wir in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Plum und seiner CDU/CSU-Fraktion.
Das Innenleben von Juris
Buschmann soll also nicht gewusst haben, dass die Lobhudeleien auf seine Person aus einem journalistischen Angebot stammen, dem die notwendige Staatsferne fehlte und das, weil es verfassungswidrig ist, abgeschaltet werden musste (F.A.Z. vom 3. März). Beim ausführenden Rechtsdienstleister Juris sind die Bundesrepublik (50,01 Prozent), das Saarland (2,99 Prozent), das französische Unternehmen Lefebvre Sarrut (45,33 Prozent) und fünf kleine Anteilseigner, darunter das Freiburger Unternehmen Haufe-Lexware, der Deutsche Anwaltsverein und die Bundesrechtsanwaltskammer, beteiligt. Die der F.A.Z. exklusiv vorliegende Beantwortung der Anfrage wirft nun etwas Licht in das bislang kaum ausgeleuchtete Innenleben von Juris.
Dabei fällt auf: In Saarbrücken, wo die Juris-Zentrale mit 209 Mitarbeitern beheimatet ist, lässt es sich gut leben. Das gilt vor allem für das Ehepaar van Oostrom. Ehemann Samuel ist seit Jahrzehnten einer von zwei Juris-Geschäftsführern, verdiente zuletzt 324.695 Euro (zum Vergleich: Im Jahr 2012 waren es 84.600 Euro); Ehefrau Daniela wirkt seit 2009 als Prokuristin im Unternehmen, Gehaltshöhe unbekannt. Ein Geschäftswagen mit Privatnutzung steht den Geschäftsführern zu, was Juris als „marktübliche Car-Policy“ bezeichnet und Katalogpreise von 42.000 Euro bis 65.000 Euro angibt.
Gehaltssprung auf das Vierfache
Samuel van Oostrom muss nicht einmal seine ganze Arbeitskraft dem Unternehmen zur Verfügung stellen. Er hält noch Managementfunktionen in anderen Unternehmen. „Dass sich die Vergütung van Oostroms binnen zehn Jahren vervierfacht hat, kann das Ministerium nicht nachvollziehbar begründen“, kritisiert Plum im Gespräch mit der F.A.Z.
Der Vorwurf trifft zu: Bei der Beantwortung der Fragen 57 und 59 zur Gehaltshöhe argumentiert die Regierung, dass man die Gehälter von Unternehmen einer Vergleichsgruppe ermittelt habe. Sodann sei die Vergütung von Geschäftsführern in einer vergleichbaren Branche und Unternehmensgröße zugrunde gelegt worden. Allerdings begründet die Bundesregierung bei Frage 52 das Fehlen von Vergütungskriterien nach dem Public Corporate Governance Kodex damit, dass es „an konkreten Vergleichsunternehmen für die Bemessung einer angemessenen Vergütung“ fehle. Die Antworten sind somit widersprüchlich. Plum meint, das Ministerium sei mit der Beteiligungsführung bei Juris überfordert.
Diese Beteiligungsführung liegt wohl in den Händen von Ko-Geschäftsführer Johannes Weichert. Er residiert mit einer 14-köpfigen Rumpfmannschaft auf fürstlichen 500 Quadratmetern am Berliner Kurfürstendamm und verdient knapp 182.000 Euro. Zudem hat er ein Rückkehrrecht in das ihn entsendende Justizministerium.
Die Arbeitsaufteilung der beiden Geschäftsführer ist laut Bundesregierung so: „Herr van Oostrom trägt insbesondere die volle Verantwortung für das operative Geschäft, während Herr Weichert in erster Linie die Verantwortung für die Beziehungen zum Bund trägt.“ Diese Beziehungen erscheinen indes nicht sehr ausgeprägt, wenn Buschmann erst aus der F.A.Z. erfährt, welch rechtswidriges Ei ihm sein beurlaubter Beamter mit „Libra“ ins Nest gelegt hat. Zumindest wurde das Ministerium erst in einer Aufsichtsratssitzung nach Erscheinen der ersten Ausgabe über die Ausgestaltung von „Libra“ informiert. „Warum wurde das Projekt zwischen Dezember 2020 und April 2022 nicht im Aufsichtsrat thematisiert?“, fragt sich Christdemokrat Plum.
1,8 Millionen Euro für Berater
Juris macht einen Jahresumsatz von 65 Millionen Euro, das Ergebnis vor Steuern beträgt über 13 Millionen Euro. Bei diesen Kennzahlen überrascht es, dass für Leistungen externer Berater im Jahr 2021 satte 1,8 Millionen Euro ausgegeben wurden. Helfen sollten die Berater bei Marktentwicklung und Strategie, mithin Bereiche, für die van Oostrom verantwortlich ist, und zudem für „juristische Beratung“, was für ein Unternehmen, das Rechtsdienstleistungen anbietet, zunächst kurios anmutet.
Aus der Antwort der Bundesregierung erfahren wir etwa, dass Juris externe Anwälte mit einem Gutachten beauftragte, das feststellte, „Libra“ unterliege nicht dem Gebot der Staatsferne. Dies widerlegte der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers. Eine solche Gutachtenschlacht hätte man sich mit besserer Kommunikation sparen können, ebenso die Kosten für das gescheiterte „Libra“: Die Bundesregierung gibt die Sachkosten mit 100.000 Euro an, die Personalkosten im Jahr 2022 mit 250.000 Euro. Weitere Kosten werden vermutlich Anfang dieses Jahres, als die erste Chefredakteurin rekrutiert war, sowie in der Planungsphase 2021 entstanden sein.
Die politische Verantwortung für die verbrannten Gelder sieht Plum beim Bundesjustizminister. Dieser will nun einen „Entflechtungsprozess“ von Juris lancieren. Nach Abschluss werde ein Verkauf der Anteile des Bundes zu prüfen sein, heißt es. Wann das passieren soll, bleibt aber völlig offen. CDU-Mann Plum kritisiert, dass der Geschäftsführer des Bundes, Weichert, nicht am Hauptstandort der Gesellschaft präsent ist. Aber vielleicht ist nicht nur das Leben an der Saar süß, sondern auch am Kurfürstendamm; vor allem, weil man sich dann gegenseitig nicht allzu viel stört.