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Wenn Freizeit und Arbeit verschwimmen

Frankfurter Allgemeine Zeitung-Logo Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.02.2023 Felix Schwarz
Neues für Haus und Leben: Frankfurts größte Messe ist wieder zurück. © Lucas Bäuml Neues für Haus und Leben: Frankfurts größte Messe ist wieder zurück.

Von außen betrachtet, erscheint das Möbelstück aus Riegel-Esche wie ein ganz gewöhnlicher Kleiderschrank. Doch sobald man es öffnet, tauchen auf der linken Seite Halterungen für Pinsel und Stifte auf. In der Mitte ist ein großer Computer platziert, darunter befindet sich eine ausziehbare Fläche für die Tastatur. Auch Ordner und Bücher finden Platz, genauso wie eine USB-Ladestation und Lichtbänder. Diese Homeof­fice-Lösung steht für einen großen Trend auf der Konsumgütermesse Ambiente: New Work, neue Arbeit. Eine Jury zeichnete das „Schrank.Büro“ der Tischlerei Sommer am Samstag mit dem Hessischen Staatspreis für das Deutsche Kunsthandwerk aus.

„New Work ist bei uns schon seit 2017 ein Thema mit großem Potential“, sagt Julia Uherek, Bereichsleiterin Consumer Goods Fairs der Messe Frankfurt. Durch den Siegeszug des Homeoffice in der Corona-Pandemie habe das Thema enorm an Bedeutung gewonnen. Auch deswegen sind die Themen New Work und Zukunft der Arbeit zum ersten Mal unter dem Schlagwort „Working“ mit einem eigenen Bereich auf der Ambiente-Messe vertreten. Start-ups, Architekten, Konsumgüterhersteller und Kunden aus der ganzen Welt kommen dort zusammen, um sich über die neuesten Trends zum Thema Arbeit auszutauschen – was die Attraktivität der Ambiente steigern soll.

Umsätze wieder auf Vor-Corona-Niveau steigern

Am Freitag öffnete die größte Konsumgütermesse der Welt das erste Mal seit drei Jahren wieder ihre Pforten, einen Tag später folgten die Christmasworld für Ausstattung zum Weihnachtsfest und die Creativeworld für Hobby- und Bastelbedarf. Die bislang eigenständige Paperworld integrierten die Verantwortlichen in die drei Leitmessen. Zusammen bilden sie mit insgesamt 352 950 Bruttoquadratmetern die nach eigenen Angaben größte Messe, die es je in Frankfurt gegeben hat. Das Messegelände ist noch bis Dienstag geöffnet.

Nachdem die Messe Frankfurt stark unter der Corona-Pandemie gelitten hatte, konnte der Umsatz 2022 im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht werden und stieg auf 450 Millionen Euro. Auch wenn das Thema New Work bisher eine verhältnismäßig kleine Rolle spielte, soll der eigene Bereich dazu beitragen, den Umsatz bis 2025 wieder in die Nähe des Vor-Corona-Niveaus zu bringen. 2019 lag der Umsatz bei 736 Millionen Euro.

Die Art des Arbeitens soll dem Arbeiter gefallen

Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann war es, der in den 1980er-Jahren das New-Work-Konzept vor allem für den Automobilhersteller General Motors erarbeitete. „Die Menschen teilweise Arbeit tun zu lassen, die sie wirklich, wirklich wollen“, so fasste der mittlerweile verstorbene Bergmann den Grundgedanken von New Work in einem Interview mit der F.A.Z. vor mehr als drei Jahren zusammen. Auch wenn der Begriff heutzutage vom Co-Working-Space bis zu neuen Arbeitszeitmodellen oder eben Möbeln eine große Bandbreite an Aspekten umfasst, sind Selbstbestimmung und flache Hierarchien nach wie vor leitende Werte.

Für die Bereichsleiterin Uherek steht auch der Trend „Workation“ in enger Verbindung mit New Work: Menschen machen zum Beispiel zwei Wochen Urlaub am Mittelmeer, sie bleiben aber eine dritte Woche in ihrem Hotelzimmer und arbeiten dann von dort aus, das Hotelzimmer wird zum Homeoffice. Für die Hotelbetreiber stelle sich daher die Frage, wie sie ihre Zimmer mit geeignetem Mobiliar ausstatten sollen. Doch die Dimension von New Work geht für Uherek weit über das Thema Homeof­fice hinaus. Für sie ergeben sich Fragen wie: Wie können Menschen als Team funktionieren? Wie lässt sich in der Arbeit mehr Effizienz mit mehr Zufriedenheit und Selbstbestimmung verbinden?

Die Wandfarbe soll in Unternehmen zu den Produkten passen

Ebenjener Effizienzgedanke gehört zu den Hauptanliegen seiner Kunden beim Thema New Work, sagt Malte Tschörtner vom international tätigen Architekturbüro CSMM aus München. Heute interessieren sich Unternehmen viel häufiger dafür, ob all die Schreibtische, Stühle und Schränke, aber auch die Wandfarbe oder das Licht zu ihren Produkten und Mitarbeitern passen. Das soll das Wohlergehen der Beschäftigten steigern, aber auch die Produktivität.

Doch es gibt auch eine kritische Per­spektive auf einen neu gestalteten Berufsalltag. Dass es Menschen überfordern kann, wenn die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit verschwimmen, ist Tschörtner durchaus bewusst. Aus diesem Grund sei es umso wichtiger, getrennte Bereiche für Teamkommunikation, zufällige Begegnungen und zurückgezogenes, konzentriertes Arbeiten zu konzipieren. Zugleich soll der Wechsel zwischen den Bereichen möglichst einfach sein. Wie Arbeit und Freizeit in Zukunft miteinander verschmelzen können, erklärt Tschörtner anhand der Sanierung des ehemaligen Deutsche-Bahn-Gebäudes im Frankfurter Gallusviertel: Ein mögliches Szenario sei, dass dort mehrere Unternehmen, Gastronomiebetriebe und Freizeitaktivitäten unter einem Dach zusammenkommen.

Kreativität und Innovation fördern

Wenn Unternehmen kleinere Büroflächen suchen, geht es dabei nicht nur um die Kosten, sagt Markus Philippi vom Büromöbelhersteller König + Neurath. Vielmehr sei es auch ein Thema, näher in das Zentrum einer Stadt zu rücken, um den Austausch der Beschäftigten mit Mitarbeitern aus anderen Unternehmen und damit auch Kreativität und Innovationen zu fördern. „Da der Quadratmeterpreis dann oft viel höher ist, ist es möglich, dass die Kosten ungefähr gleich bleiben“, sagt Philippi.

Der Philosoph Bergmann machte sich einst weniger Gedanken über das Aussehen von Arbeitsräumen. Angesprochen darauf, ob Designermöbel mit dem Grundgedanken von New Work vereinbar sind, antwortete er damals im F.A.Z.-Interview: „Büromöbel sind vollkommen nebensächlich. Das kann dazugehören, muss es aber nicht.“ Julia Uherek von der Messe Frankfurt zeigt sich optimistischer: Ein Möbelstück, das sowohl bei der Arbeit als auch im Privaten zufriedener macht, könne einen wichtigen Impuls für mehr Selbstbestimmung und Selbstreflexion geben.

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