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Wird der Strom bald rationiert?

Frankfurter Allgemeine Zeitung-Logo Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.01.2023 Marcus Theurer
© Getty

Peter Altmaier hat sich an dem Thema damals die Finger verbrannt: Anfang 2021 war es, als die Zeitungen schrieben, der CDU-Politiker, zu jener Zeit noch Bundeswirtschaftsminister, wolle Berufspendlern quasi ferngesteuert den Strom abstellen, wenn sie ihr Elektroauto nach Feierabend daheim wieder aufladen wollen. Der Saarländer wollte damit präventiv eine Überlastung des Stromnetzes verhindern, wenn abends um sieben alle gleichzeitig zum Ladekabel greifen.

Groß war der Aufschrei der Empörten, die Autoindustrie wetterte gegen staatlich verordnete Stromsperren für Elektromobilisten – und Altmaier legte umgehend den Rückwärtsgang ein: Der Plan sei ohne seine Billigung veröffentlicht worden, hieß es aus dem Wirtschaftsministerium. So richtig glaubhaft klang das nicht.

Altmaier war damit erst einmal aus dem Schneider. Das Problem einer drohenden Überlastung des Stromnetzes aber ist nicht nur geblieben, es ist seit 2021 noch drängender geworden. Schätzungen zufolge wurde zum jüngsten Jahreswechsel die Marke von einer Million rein elek­trisch betriebener Autos geknackt, das sind mehr als dreimal so viele wie vor zwei Jahren. Der Absatz elektrischer Wärmepumpen wiederum ist in den ersten drei Quartalen 2022 um mehr als 40 Prozent gestiegen. Und landauf, landab schrauben Installateure im Akkord neue Photovoltaikanlagen auf die Dächer.

Wenn viele Elektroautos in einer Straße gleichzeitig geladen werden, kann das Stromnetz an die Belastungsgrenze kommen. © dpa Wenn viele Elektroautos in einer Straße gleichzeitig geladen werden, kann das Stromnetz an die Belastungsgrenze kommen.

Der politisch gewollte und forcierte Boom bei E-Autos, Wärmepumpen und Solarmodulen bringt die lokalen Stromnetze in den Städten und auf den Dörfern an ihre Leistungsgrenzen, warnt die Energiewirtschaft. „Die Anträge für den Anschluss neuer Anlagen gehen durch die Decke, und wir gehen davon aus, dass die Steigerungsraten noch wachsen werden“, sagt Thomas König, Vorstand des Düsseldorfer Energiekonzerns Eon.

Sein Unternehmen betreibt in Deutschland ein Stromnetz von knapp 700 000 Kilometer Länge, das entspricht rechnerisch fast einmal der Entfernung zum Mond und zurück. Zwölf Millionen Endkunden beliefert Eon hierzulande mit Elektrizität, der Konzern ist damit mit Abstand die Nummer eins im Stromvertrieb. König ist seit fast drei Jahrzehnten im Geschäft, ein so verrücktes Wachstum wie derzeit hat er noch nicht erlebt.

Klaus Müller: Präsident der Bundesnetzagentur © dpa Klaus Müller: Präsident der Bundesnetzagentur

Wartezeiten von bis zu acht Monaten für den Anschluss ans Netz

Das Volumen neu installierter kleiner Photovoltaikanlagen, die Eon an sein Netz anschließen soll, ist in den vergangenen zwei Jahren um drei Viertel gewachsen, noch größer ist die Zunahme bei kommerziellen Wind- und Solarparks. Hinzu kamen 2021 allein bei Eon rund 100.000 neue Ladestationen für Elektroautos. Die Kunden müssen teils lange Wartezeiten in Kauf nehmen, bis ihre neuen Anlagen angeklemmt werden. „Das können acht Wochen sein, wenn sie Pech haben auch acht Monate“, räumt König ein.

Die lokalen Stromnetze drohten zum Nadelöhr für die Energiewende zu werden, sagt Krzysztof Rudion, Professor für Energieübertragung an der Technischen Universität Stuttgart: „Der Ausbau des Verteilnetzes hält einfach nicht Schritt mit dem Boom der Wärmepumpen, Elektroautos und Solaranlagen.“ Die Folgen können gravierend sein. Lokale Stromausfälle, die in Deutschland bisher sehr selten sind, könnten schon in wenigen Jahren weitaus häufiger vorkommen. „Dann fliegt in der Trafostation die Sicherung raus, und in der betroffenen Straße ist der Strom weg“, sagt Rudion.

Genau das ist das Problem: Was nützen klimafreundliche Heizungen und Fahrzeuge, wenn sie nicht zuverlässig mit Strom versorgt werden können? Und was nutzt es, Solaranlagen und Windräder zu bauen, wenn die Energie nicht störungsfrei ins Netz eingespeist werden kann? „Der grüne Strom kommt nicht durch die Leitung“, sagt Eon-Vorstand König.

Dass die Stromleitungen eine Herausforderung sind bei der Energiewende, das ist bekannt. Aber bislang drehte sich die Debatte vor allem um die Hindernisse beim Bau der großen Stromautobahnen, die den Strom über Hunderte von Kilometern von den Offshore-Windparks in Norddeutschland zu den Industriezentren im Süden transportieren sollen. Jetzt zeichnet sich immer dringlicher ein sehr viel kleinteiligeres Problem ab: Auch die weitverzweigten Verästelungen des Stromnetzes müssen aufgerüstet werden. Dieses sogenannte Verteilnetz reicht von regionalen Hochspannungsleitungen mit 110 Kilovolt Spannung bis zu den Niederspannungsleitungen mit 400 Volt in den Ortsnetzen. Betrieben wird es von fast 900 verschiedenen Unternehmen, darunter Riesen wie Eon, aber auch vielen kleinen Stadtwerken.

Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe für den Ausbau der Verteilnetze

Die Kosten für Ausbau und Modernisierung der lokalen Stromnetze werden enorm sein, und die Verbraucher werden dafür bezahlen müssen – in Form von steigenden Netzentgelten, die in der Stromrechnung enthalten sind. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman schätzt in einer neuen Studie, dass in den nächsten 15 Jahren deutschlandweit Investitionen von 100 bis 135 Milliarden Euro notwendig sind, um die Verteilnetze fit für die Zukunft zu machen. Aber es geht nicht nur ums Geld: Acht bis zehn Jahre dauert in manchen Bereichen des Verteilnetzes das Genehmigungsverfahren für den Bau neuer Stromleitungen. „Das ist völlig indiskutabel“, klagt Eon-Vorstand König. Die Wartezeiten auf Genehmigungen seien teilweise viermal so lang wie bei Windkraftanlagen, und dort dauere es viel zu lange. Wegen der im Vergleich zur Vorgängerregierung viel ehrgeizigeren Ziele für die Energiewende müsse der Netzausbau eigentlich rapide beschleunigt werden. „Das ist eine ganz andere Dimension“, sagt König.

Dabei werden die Belastungen, die auf das Stromnetz zukommen, absehbar riesig sein. Die zuständige Bundesnetzagentur in Bonn geht in ihrem „Bedarfsentwicklungsplan Strom“ davon aus, dass in 15 Jahren in Deutschland 14 Millionen Wärmepumpen in Betrieb sein werden, heute dagegen sind es nur gut eine Million. Die Zahl der E-Autos wird sich demnach auf 32 Millionen Fahrzeuge vervielfachen.

Kein Wunder also, dass der vor zwei Jahren gescheiterte Plan von Peter Altmaier in modifizierter Form jetzt wieder auf den Tisch kommt. Dieses Mal muss sich Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, mit dem undankbaren Thema herumschlagen. Denn Altmaiers Nachfolger Robert Habeck hat dem ihm unterstellten Behördenchef aufgetragen, die Sache per Verordnung zu regeln.

Wieder geht es darum, dass die Stromversorgung für die Nutzer von Wärmepumpen und Ladestationen zeitweise rationiert werden kann, um einen Kollaps des lokalen Stromnetzes durch Überlastung abzuwenden. „Der Verteilnetzbetreiber erhält die Möglichkeit, im Bedarfsfall steuernd einzugreifen, um den sicheren Netzbetrieb aufrechterhalten zu können“, heißt es in einem Eckpunktepapier der Netzagentur. Die neue Regelung soll zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Anders als damals von Altmaier geplant, soll in Zeiten von Netzengpässen die Stromversorgung von Wärmepumpen und Ladestationen nicht ganz gekappt werden, wie Netzagenturchef Müller im Gespräch mit der F.A.S. versichert: „Es wird definitiv keine Komplettabregelung geben. Wir wollen eine Mindestversorgung jederzeit garantieren.“ Auch bei gedrosselter Versorgung könnten alle betroffenen Haushalte drei Stunden lang genügend Strom laden, um mit ihrem E-Auto 50 Kilometer fahren zu können.

Mit Blick auf elektrische Heizungen wiederum heißt es in den Unterlagen, trotz Stromrationierung solle “für eine Vielzahl von Wärmepumpen, insbesondere in Neubauten“ ein “nahezu störungsfreier Weiterbetrieb„ möglich sein. Stromunternehmen bieten schon heute spezielle Wärmepumpen-Tarife an, die dem Versorger das Recht einräumen, die Anlage zeitweilig abzuschalten. Im Gegenzug zahlen die Kunden weniger für den Strom. Einen ähnlichen Preisnachlass will Müller nun vorschreiben.

Netzagentur befürchtet Stromausfälle durch Überlastung

Es gebe keine Alternative zu den Plänen, glaubt der Chef der Netzagentur: „Wenn weiter sehr viele neue Wärmepumpen und Ladestationen installiert werden, dann sind Überlastungsprobleme und lokale Stromausfälle im Verteilnetz zu befürchten, falls wir nicht handeln.“ Die Alternative wäre, dass womöglich mancherorts gar keine zusätzlichen Wärmepumpen und Ladestationen mehr installiert werden können. Das wollen Müller und Habeck unbedingt verhindern.

Doch es gibt Widerstand. Vor allem die Autoindustrie ist auch diesmal gegen den Plan zur Stromrationierung. „Wenn das Laden zu Hause nur eingeschränkt möglich wäre, würden erhebliche Komforteinbußen drohen“, bemängelt Hildegard Müller, Präsidentin des Branchenverbands VDA. „Ohne leistungsfähige Ladeinfrastruktur werden wir die Leute nicht überzeugen können, auf ein Elektroauto umzusteigen“, befürchtet sie.

Ein handfestes Problem bei der praktischen Umsetzung der Pläne kommt erschwerend hinzu: Das Niederspannungs-Verteilnetz ist vielerorts nicht auf dem neuesten Stand der Technik, weshalb die Netzbetreiber häufig gar nicht messen können, wie stark die Stromversorgung in einer bestimmten Gegend ausgelastet und wie groß die Überlastungsgefahr ist. Deshalb sollen sie die Stromrationierung übergangsweise auch auf Basis von Pro­gnosemodellen vornehmen können. Kritiker weisen darauf hin, dass das im Zweifel zu stärkeren Beschränkungen der Stromversorgung führen wird, als im Fall modernerer Netze nötig wäre.

Die Übergangsfrist soll erst 2029 enden, denn es wird Jahre dauern, das riesige Verteilnetz mit der notwendigen Mess- und Steuertechnik auszustatten. Das Netz müsse nicht nur ausgebaut, sondern auch intelligenter gemacht werden, sagt der Experte Rudion von der TU Stuttgart. „Seit zehn Jahren diskutieren wir jetzt über den Einbau von intelligenten Smart-Meter-Stromzählern, aber passiert ist bisher fast nichts.“

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