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Fall Mahsa Amini: Warum Frauen in Iran ihre Kopftücher verbrennen

DER SPIEGEL 20.09.2022 Malte Göbel

Seit Tagen protestieren Menschen in Iran gegen das Regime. Auslöser ist der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, nachdem die Polizei sie wegen ihrer »unislamischen« Kleidung verhaftet hatte. Was über den Fall bekannt ist.

© Michael Sohn / AP

Die 22-jährige Mahsa Amini war am Dienstag, dem 13. September während eines Familienbesuchs in Teheran von der Sitten- und Religionspolizei wegen ihrer »unislamischen« Kleidung festgenommen worden. Nach Angaben der Polizei fiel sie auf der Wache wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht und danach ins Koma – diese Version ist aber umstritten. Am Freitag wurde ihr Tod bestätigt.

Warum wurde Mahsa Amini festgenommen?

Amini wurde von der Polizei angeblich wegen »des Tragens unangemessener Kleidung« auf die Wache gebracht. Dort sollte sie Polizeiangaben zufolge über die islamischen Kleidervorschriften unterrichtet werden. Im Netz kursiert die Angabe, Mahsa Amini sei verhaftet worden, weil unter ihrem Kopftuch Haarsträhnen zu sehen gewesen seien. Zeitungen zeigten in den Folgetagen Bilder von Amini, bei denen deutlich Haare unter dem Kopftuch zu sehen waren.

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Wie ist die Rechtslage für Frauen in Iran?

Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten in Iran strenge Kleidungsvorschriften. Frauen sind dazu verpflichtet, ihr Haar in der Öffentlichkeit zu bedecken und lange, locker sitzende Kleidung zu tragen, um ihre Figur zu verschleiern. Wer dagegen verstößt, muss mit öffentlicher Rüge, Geldstrafen oder Verhaftung rechnen.

Insbesondere in den Metropolen und reicheren Vierteln sehen viele Frauen die Regeln inzwischen eher locker, tragen enger anliegende Mäntel und bunte Schals, die nach hinten geschoben werden, um Haar zu zeigen – zum Ärger erzkonservativer Politiker. Die Regierung unter Präsident Ebrahim Raisi und Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger durchzusetzen. Die Sittenpolizei wendet bei Kontrollen der Kleidungsvorschriften teils auch Gewalt an.

Was ist über die Todesursache bekannt?

Ein im staatlichen Fernsehen ausgestrahltes Überwachungsvideo des Polizeireviers zeigt, wie eine Frau nach einem Gespräch mit einer Polizistin zusammenbricht. Die genauen Umstände von Aminis Tod sind aber unklar. Die iranische Polizei erklärte, es habe keinerlei »körperlichen Kontakt« zwischen ihr und den Polizeibeamten gegeben. Laut dem Sender 1500tavsir, der über Menschenrechtsverstöße in Iran berichtet, soll Amini einen Schlag auf den Kopf erlitten haben. Aminis Leiche wurde laut dem Staatsfernsehen in die Gerichtsmedizin gebracht.

In den Sozialen Medien wird berichtet, dass Aminis Kopf nach der Festnahme im Polizeiauto gegen die Scheibe geschlagen worden sei, was zu einer Hirnblutung geführt habe. Die Polizei wies diese Darstellung zurück. Die Klinik, in der die 22-Jährige behandelt wurde, hatte nach ihrem Tod in einem inzwischen gelöschten Post bei Instagram geschrieben, dass Amini bereits bei der Aufnahme am Dienstag hirntot gewesen sei.

Amnesty International teilte mit, es gebe »Vorwürfe von Folter und anderen Misshandlungen während des Gewahrsams«. Die Menschenrechtsorganisation forderte eine Untersuchung der Umstände des »verdächtigen« Todes der Frau. Auch der Nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Jake Sullivan, zitierte Berichte, wonach Amini im Polizeigewahrsam geschlagen worden sei.

Die Polizei wies am Montag erneut jegliche Schuld am Tod der jungen Frau von sich. »Es ist gesetzlich nun mal unsere Aufgabe, Frauen an die Kleidervorschriften zu erinnern«, sagte der Polizeichef der Hauptstadt, Hussein Rahimi, nach Angaben der Nachrichtenagentur Mehr. »Was sie zu Hause tragen, ist ihre Sache, aber nicht in der Öffentlichkeit.« Der Frau sei kein Haar gekrümmt worden. Präsident Raisi teilte mit, dass er den Innenminister mit der Untersuchung des Falls beauftragt habe.

Wie reagieren die Menschen in Iran?

Zahlreiche Menschen gehen nun auf die Straße, um ihre Wut über den Tod von Mahsa Amini zum Ausdruck zu bringen. Vor allem in der Hauptstadt Teheran und Aminis Heimatprovinz Kurdistan kam es zu Demonstrationen. In Teheran ging die Polizei teils mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Menschenmenge vor. Demonstranten sollen Mülltonnen in Brand gesetzt und Steine geworfen haben. Der Großteil der Proteste war bislang jedoch friedlich. Mehrere Frauen nahmen aus Solidarität mit Amini ihre Kopftücher ab.

An mehreren Orten sollen Teilnehmer der Proteste gerufen haben: »Wir fürchten uns nicht, wir sind alle zusammen« – eine Parole, die vor allem während der Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentenwahl 2009 bekannt geworden war.

Auch im Netz formiert sich Protest: In den Sozialen Medien posteten Iranerinnen Videos, wie sie ihre Haare abschneiden oder ihren Hidschab verbrennen. Oder sie posten Bilder von sich ohne Kopfbedeckung. Auch Prominente machen mit beim Online-Protest, darunter die bekannten Schauspielerinnen Anahita Hemmati und Schabnam Farschaddschu.

Im Jahr 2009 protestierten Menschen in Iran als Reaktion auf die Fälschung der Präsidentenwahlen, nach denen Mahmud Ahmadinedschad erneut zum Präsident erklärt wurde. Der Slogan damals war: »Wo ist meine Stimme?« Hunderte Regimekritiker wurden damals festgenommen, Dutzende Menschen kamen ums Leben. Die junge Iranerin Neda Agha-Soltan starb, von einer Kugel getroffen, und wurde über Nacht zum Symbol des Protestes. Bis Jahresende kam es immer wieder zu Demonstrationen, die teils gewaltsam aufgelöst wurden. Die »Grüne Revolte« scheiterte.

Auch 2018 gab es Proteste in Iran, vor allem wegen der wirtschaftlichen Lage. Das Regime hatte Freiheit und Aufschwung versprochen, aber nur wenige Versprechen gehalten. Hinter den Demonstrationen stand keine Oppositionsbewegung, sie waren eher ein öffentlicher Wutausbruch, gegen hohe Eierpreise genauso wie gegen Irans Führung. Die Hoffnungen auf einen »Persischen Frühling« erfüllten sich nicht.

Können die Proteste dem Regime gefährlich werden?

Viele Frauen unterstützen derzeit die Proteste, in ihrem Aufschrei entlädt sich auch die Frustration über die schwierige wirtschaftliche Lage, zusätzlich zum Ärger über die Repressalien.

Aber das System auf der Straße zu stürzen, ist kaum möglich. Die Revolutionsgarden sind bewaffnet und brutal und das Regime wird von den Geheimdiensten gestützt. Von 2009 und 2018 haben die Behörden Erfahrung darin, wie man solche Proteste erstickt: Dampf aus dem Kessel lassen, einige verhaften, hart zuschlagen, dann zerbricht die Bewegung. Gleichzeitig wird Gewalt gegen Frauen international als besonders verachtenswert angesehen, insofern könnte das Regime vor einem Imageproblem stehen, wenn es zu brutal zuschlägt.

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