Roy Hodgson kehrt mit 75 einmal mehr aus dem Ruhestand zurück – das abstiegsgefährdete Crystal Palace sehnt sich offenbar nach einer Vaterfigur
Bei seinem Abschied als Trainer des Crystal Palace Football Club im Sommer 2021 kündigte Roy Hodgson an, nach keinem neuen Verein mehr Ausschau zu halten. Doch er sagte auch, dass er eine Rückkehr in die Premier League nicht gänzlich ausschliessen könne («one never knows»). Weil sein Beruf für ihn ein «sadistisches Vergnügen» sei.
Bereits ein halbes Jahr später kehrte Hodgson beim Watford FC auf die Trainerbank zurück – obwohl ihn die dortige Eigentümerfamilie Pozzo 2001 nach nur 17 Spielen als Trainer von Udinese Calcio fortgeschickt hatte. Das Problem damals: Hodgson, der fliessend Italienisch spricht, liess in Friaul aus dem aufgeblähten 41-Mann-Kader vorwiegend Profis spielen, die schon länger im Klub waren – und nicht diejenigen, die die Pozzos neu engagiert hatten.
Noch älter als Bobby Robson selig und Sir Alex Ferguson
Das Verhältnis zwischen den beiden Parteien blieb dennoch intakt. Schon bald blickte der wenig nachtragende Hodgson sogar versöhnlich auf die Zeit in Udine zurück. Trotzdem konnte er Watford bei seinem Kurzzeit-Intermezzo nicht vor dem Absturz in die zweite Liga bewahren. Für ihn war es der erste Abstieg in seiner langen Karriere.
Nach nur zwei Siegen in achtzehn Spielen schien Hodgson danach selbst nicht mehr daran zu glauben, dass er nochmals auf die grosse Bühne zurückkehrt. Er sagte, er könne sich zwar vorstellen, weiterhin im Fussballgeschäft tätig zu sein, aber «sicher nicht» als Premier-League-Trainer, der Abstieg sei sein «Abgesang». Doch abfinden wollte sich Hodgson mit der Niederlage nicht – weshalb er nun im stattlichen Alter von 75 Jahren erneut ein Engagement bei Crystal Palace eingeht. Es ist vorerst bis zum Saisonende gültig.
Seine Zusage bei Palace, einem Verein der Mittelklasse, wirkt wie ein Freundschaftsdienst für den Klubvorsitzenden Steve Parish. Aber Hodgson tut sich auch selber einen Gefallen: Denn er baut seinen stolzen Rekord als ältester Trainer in der Premier League aus. In dieser Statistik liegt er vor Granden wie Bobby Robson selig und Sir Alex Ferguson, die mit 71 Jahren ihr letztes Erstligaspiel in England erlebt hatten. Die Zeitung «The Times» schrieb, dass es neben der «romantischen» Seite seiner Zusage «auch um sein Ego» gehe, weil er sich unbedingt mit einem Erfolg verabschieden wolle.
Der Vorsprung auf die Abstiegszone ist auf drei Punkte geschmolzen
Crystal Palace ist in den Abstiegskampf geraten, wie schon im Herbst 2017, als Hodgson erstmals das Team übernommen hatte. Damals hatte der seit je konservativ geführte Verein vor ihm das Experiment gewagt, in der Person des Niederländers Frank de Boer für einmal nicht auf einen Trainerveteranen zu setzen.
De Boer sollte der hartnäckig verteidigenden und auf Konter lauernden Mannschaft einen modernen Ballbesitzstil verpassen. Doch nach vier sieg- und torlosen Matches zum Saisonauftakt musste er für den routinierten Hodgson weichen. Ihm gelang mit Palace nicht nur der Klassenerhalt, sondern auch die Etablierung im Oberhaus. Mittlerweile spielt der Klub aus der Londoner Vorstadt südlich der Themse seit zehn Saisons in der Premier League.
Auf dieser soliden Grundlage versuchte Palace jüngst erneut, an Attraktivität zu gewinnen, gerade auch zugunsten der Spielerakquise. Als Trainer engagiert wurde Patrick Vieira, der es als französischer Nationalspieler zum Welt- und Europameister gebracht hatte. Diese Zusammenarbeit liess sich gar nicht so schlecht an. Doch in diesem Jahr leistete sich Palace zwölf sieglose Ligaspiele in Serie, zuletzt gab es sogar vier Niederlagen hintereinander. Der Vorsprung auf die Abstiegszone ist auf drei Punkte geschmolzen.
Aus Sorge vor einem Millionenverlust verlor der Miteigentümer Parish in der letzten Woche die Geduld und trieb die Trennung von Vieira voran, um als Nachfolger Hodgson präsentieren zu können, der sich einstweilen die Zeit vertrieben hatte in einer Fussball-Task-Force der Regierung des Vereinigten Königreichs.
Seinen ersten Einsatz mit Palace hat Hodgson im Heimspiel gegen Leicester am 1. April. Doch warum entschied sich der Klub für diesen Engländer, der in seinem Alter auch der Grossvater vieler Spieler sein könnte?
Die Niederlage an der EM 2016 gegen Island machte ihn zur Lachnummer
Bei dieser Frage spielt Hodgsons starke Verbundenheit zum Verein genauso eine Rolle wie seine Lebensleistung. Hodgson, der unweit des Klubstadions Selhurst Park in Croydon aufgewachsen ist, hatte seine Karriere in der Jugendabteilung von Palace gestartet. Mehr als mit seiner Spielerlaufbahn, in der er für unterklassige englische Vereine kickte, machte er dann als Trainer auf sich aufmerksam.
In fast einem halben Jahrhundert hat er sechzehn verschiedene Klubs und vier Nationalmannschaften gecoacht. Er wurde schwedischer und dänischer Meister, trainierte Weltmarken wie Inter Mailand und Liverpool, und er führte Fulham als Aussenseiter in den Europa-League-Final 2010, nachdem er die Londoner vor dem Abstieg bewahrt hatte. Der Durchbruch war Hodgson mit der Schweiz gelungen, mit der er sich nach langer Turnierabstinenz für die WM 1994 und die EM 1996 qualifizierte, ehe er ein halbes Jahr vor dem Beginn der EM in England zu Inter wechselte und mit den Italienern den Uefa-Cup-Final erreichte.
Ebenjene Höhen mischten sich immerzu mit Tiefen; Hodgsons Karriere schien wie das echte Leben zu sein. Dies machte ihn in der schrillen Premier League angenehm nahbar. Zu den Enttäuschungen gehörten die rasch vollzogene Entlassung in Liverpool, die unüberlegte Episode in Watford – und vor allem das blamable Ausschneiden mit England an der EM 2016, das seinen Ruf in der Heimat stark ramponierte.
Durch jene Achtelfinal-Niederlage gegen Island wurde er zur Lachnummer der Nation, weil er sich eine luxuriöse Bootsfahrt auf der Seine durch Paris gegönnt hatte, anstatt sich am selben Tag im Stadion auf den möglichen nächsten Gegner Island vorzubereiten.
Am liebsten in der etablierten 4-4-2-Formation – verlässlich, seriös und standhaft
Diese Erfahrung, quasi alles schon einmal erlebt zu haben, hat den Klubchef Parish überzeugt, Hodgson nochmals zu verpflichten. Er soll den gespaltenen Verein zusammenführen und der Mannschaft wieder Stabilität geben. Entgegen der modernen Lehre vertraut Hodgson fast immer auf eine etablierte 4-4-2-Formation, die ihn zugleich am besten repräsentiert: als verlässlich, seriös und standhaft.
In unsicheren Zeiten, kommentierte «The Times», würden sich Vereine in England oft nach einer «Vaterfigur» sehnen – und Hodgson käme einem Profil wie jenem des «liebevollen Elder Statesman» am nächsten. Die Chancen, dass sich Crystal Palace dem Abwärtstrend widersetzen kann, sind passabel, das Kader sollte dank vielen gestandenen Profis und dem begehrten Angreifer Wilfried Zaha über ausreichend Qualität verfügen. Für Roy Hodgson käme der Ligaerhalt einem versöhnlichen Abschluss der Karriere gleich – wobei man bei ihm ja nie weiss, ob er es sich später nicht doch wieder anders überlegt.
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