Oscar-Nominierung Riseborough: Wer kennt diese Frau?
Das Internet kennt alles, weiß alles, zählt alles, wiegt alles, merkt sich alles und durchschaut alles. Wenn es Verdacht schöpft, ist was faul. Als die Entscheidung der Academy Of Motion Picture Arts and Sciences ruchbar wurde, die Engländerin Andrea Riseborough für einen der am 13. März diesen Jahres verliehenen Oscars, nämlich den in der Kategorie „beste Schauspielerin“, zu nominieren, roch das Netz den Braten sofort: Den Film „To Leslie“, in dem Riseborough die angeblich preiswürdige Leistung erbracht hat, konnten ausweislich augenblicklich netznotorischer Kartenverkaufszahlen nur wenige Menschen im Kino gesehen haben, also kann die Nominierung nur das Ergebnis unlauterer Beeinflussung der Wahlberechtigten sein.
Zwar geht es in der betreffenden Sparte um die „beste“, nicht um die „profitabelste“ oder „meistbestaunte“ Darbietung ihrer Art, aber wer beachtet diese Andrea Dingenskirchen überhaupt? Wer kennt sie? Nur ihre Kolleginnen und Kollegen, antwortet das Internet, und die haben sich in sozialen Medien für sie stark gemacht – Leute wie Edward Norton und Gwyneth Paltrow. Da weiß man eh: Gefälligkeit, Seilschaften, Stasi.
Wie immer hat das Internet recht. Es steckt tatsächlich eine Kampagne dahinter. Nur dass diese Mauschelei wie Milliarden ähnliche ihren Ursprung und ihre Operationsbasis im Internet hat, wie das Internet in verzeihlicher Selbstbesessenheit wähnt, ist nicht ganz wahr. Es war vielmehr diese Zeitung hier, die Sie gerade lesen, in der bereits am 10. April des Jahres 2013 über Riseboroughs Auftritt in Joseph Kosinskis „Oblivion“ haltlos geschwärmt wurde, ihr Blick sei „klar wie Glas, kurz vorm Zerspringen“, und es war dasselbe Organ, in dem ein distanzloser Fan am 29. Januar 2014 mit der Behauptung nachlegte, die Dame habe in Henry Alex Rubins Film „Disconnect“ bei „der Zügelung wie Entfesselung von Charakterdarstellung“ Fähigkeiten offenbart, die „weit über dem Durchschnitt“ lägen, was aber noch nicht genügte – wenige Monate später, am 28. August 2014, behauptete dasselbe Blatt im Druck und online, Riseborough übersetze in Alejandro González Iñárritus Drama „Birdman“ die „jenseitige Zwitschermeise von Sängerinnen wie Kate Bush oder Björk ins Mimische“.
Zehn Jahre lang also versucht diese Frankfurter Feuerstellung des verrückten Riseborough-Fanatismus schon, ihre Göttin der Welt unterzujubeln – und so wachsam das Internet sonst ist, diesmal hat man die ominöse Frau bis zur Oscarliste durchgeschoben. Twitter, pass auf! Das darf sich nicht wiederholen! Und wo wir gerade dabei sind: Wie ging das eigentlich genau beim Literaturnobelpreis für Bob Dylan zu und bei der Wahl des Wiedehopfs zum Vogel des Jahres 2022? Aufklärung tut not!